Papier: 3.1.7 Die Rolle der Inhalteanbieter im Jugendmedienschutz

Originalversion

1 (Zu diesem Abschnitt liefert die Fraktion Bündnis 90/Die
2 Grünen ein Alternativpapier. Termin: 16. März 2011)
3
4 Der bestehende Rechtsrahmen des Jugendmedienschutzes ist
5 anbieterzentriert. Grundgedanke der Regelungen sowohl des
6 JuSchG als auch des JMStV ist, dass Anbieter von Träger-
7 oder Online-Medien rechtlich verantwortlich für ihre
8 Angebote und damit auch dessen Jugendschutzkonformität sind.
9 Dieser auf den ersten Blick zwingend erscheinende
10 regulatorische Grundansatz wird im heutigen Medienumfeld aus
11 verschiedenen Gründen jedoch oftmals unter folgenden
12 Gesichtspunkten kritisiert:
13
14 • Die Anbieterzentrierung führt zu einer Fokussierung auf in
15 Deutschland ansässige Anbieter, während gegenüber aus dem
16 Ausland agierenden Betreibern deutsches Recht faktisch
17 undurchsetzbar bleibt.
18
19 • Auch innerhalb des Zugriffsbereichs der nationalen
20 Aufsichtsbehörden bestehen faktische Limitierungen, da eine
21 umfassende Kontrolle sämtlicher Webseiten aus
22 Ressourcengründen unmöglich ist. Schon jetzt konzentriert
23 sich die Aufsicht im Online-Sektor daher auf schwere
24 Verstöße, große Portalbetreiber und diejenigen Unternehmen,
25 die sich aus eigenem Antrieb der Selbstkontrolle
26 angeschlossen haben.
27
28 • Die heute als Ausformung der Anbieterverantwortung im
29 Internet bestehende
30 Verpflichtung zur altersabgestuften Zugänglichmachung von
31 Angeboten ist
32 angesichts der rechtlich unklaren Kriterien und der bei
33 Jugendlichen stark
34 differierenden Entwicklungsreife für die Anbieter kaum
35 sinnvoll umsetzbar. Selbst bei stark engagierten Anbietern
36 hat die Einstufung daher zwangsläufig willkürliche Elemente.
37
38 Die geschilderten Durchsetzungsdefizite machen den Ansatz
39 der Anbieterverantwortung nicht obsolet. Sie erfordern
40 jedoch dessen Akzentuierung und Ergänzung um anders
41 ausgerichtete Schutzinstrumente.
42
43 EXKURS aus Anlass des in Diskussion stehenden JMStVs
44
45
46 Abhilfe schaffen könnte hier – für den Bereich der
47 entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalte im Sinne des JMStV –
48 zum Beispiel die Entwicklung leistungsfähiger und
49 nutzerautonom einzusetzender anerkannter
50 Jugendschutzprogramme, wie sie der
51 Jugendmedienschutz-Staatsvertrag schon seit Jahren vorsieht
52 und deren bisher z.T. unklare Anerkennungsvoraussetzungen
53 durch die – gescheiterte – Novellierung des JMStV zum 1.
54 Januar 2011 hätten konkretisiert werden sollen. Aber auch
55 nach der nun vorerst weiter gültigen Rechtslage sind für
56 Jugendschutzprogramme einige Grundprinzipien festzustellen,
57 die durch die Novellierung nicht berührt werden sollten:
58
59 Jugendschutzprogramme im Sinne des JMStV sind keine bloßen
60 Filterprogramme, mit denen (nur) der Filterhersteller
61 aufgrund eigener Kriterien für bestimmte Altersstufen
62 darüber entscheidet, ob bestimmte Internetinhalte angezeigt
63 werden oder nicht (und damit schon eine Form von „Zensur“
64 insbesondere gegenüber den Inhalte-Anbietern ausüben kann,
65 deren Angebote er in seine Blacklist aufgenommen hat).
66 Zentrales Element eines
67 Jugendschutzprogramms ist vielmehr eine
68 Selbstklassifizierungsschnittstelle für Inhalte-Anbieter.
69 Diese Programme müssen also über eine standardisierte
70 Schnittstelle verfügen, über die die Inhalteanbieter selbst
71 dem Programm mitteilen können, wie ihre Angebote unter
72 Jugendschutzgesichtspunkten richtig zu behandeln sind, d.h.
73 welcher Altersstufe sie zuzuordnen sind (sogenanntes
74 Labeling). Soweit ein Anbieter entwicklungsbeeiträchtigender
75 Inhalte sein Angebot für ein anerkanntes
76 Jugendschutzprogramm inhaltlich und technisch
77 korrekt gelabelt hat, führt allein dies nach der geltenden
78 Rechtslage schon zu einer rechtlichen Privilegierung. Das
79 heißt, er muss keine weiteren Schutzmaßnahmen ergreifen bzw.
80 vorschalten (also z.B. andere technische Mittel,
81 Zeitgrenzen). Zudem kann er von der Aufsichtsbehörde nicht
82 mehr rechtlich belangt werden.
83
84 Die nachvollziehbare Sorge vieler Anbieter, aufgrund
85 unklarer objektiver Kriterien zu einer inhaltlich
86 unzutreffenden Alterseinstufung ihrer Angebote zu gelangen
87 und allein deshalb eine aufsichtsrechtlicheMaßnahme zu
88 riskieren, sollte dabei ernst genommen werden. Zu überlegen
89 wäre, ob z.B. allein das nachweisbare und korrekte
90 Durchlaufen eines Selbstklassifizierungs-Fragebogens einer
91 anerkannten Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle
92 schon eine inhaltliche Privilegierung zur Folge haben
93 könnte, um einer breiten Akzeptanz des Selbst-Labelings
94 Vorschub zu leisten.
95
96 Aber nur wenn Eltern Jugendschutzprogramme auch installiert
97 und aktiviert haben, läuft die Programmierung der Anbieter
98 nicht ins Leere. Damit Eltern sie im großen Umfang
99 einsetzen, dürfen sie keine unverhältnismäßig hohen Kosten
100 verursachen (sie sollten möglichst kostenfrei für den Nutzer
101 sein). Außerdem müssen sie Eltern bei der Medienerziehung
102 zuverlässig unterstützen. Die Herausforderung ist hier, eine
103 möglichst breite Akzeptanz für anerkannte
104 Jugendschutzprogramme zu schaffen. Für eine Durchsetzung am
105 Markt ist es
106 darüber hinaus essenziell, dass die Bedienung möglichst
107 einfach ist. Zudem müssen die Installation und die
108 Konfiguration auch ohne umfangreiches technisches Vorwissen
109 möglich sein. Um den grundrechtlich garantierten
110 Erziehungsauftrag nicht zu beeinträchtigen, müssen sie
111 nutzerautonom sein, sodass Eltern sie nach ihren Wünschen
112 konfigurieren können. Gleichzeitig müssen sie einen
113 zuverlässigen Schutz vor problematischen Inhalten
114 bieten.
115
116 Seit dem Inkrafttreten des JMStV im Jahr 2003 ist es bislang
117 aber nicht gelungen, dass auch nur ein einziges
118 Jugendschutzprogramm durch die KJM die Anerkennung erhalten
119 hat. Letztlich ist es aufgrund der Komplexität und der damit
120 verbundenen Unvollkommenheit von Software nicht möglich, ein
121 Jugendschutzprogramm mit 100prozentigem Schutzniveau zu
122 programmieren. Andererseits ist es staatlichen Stellen nur
123 schwer zuzumuten, unvollkommene Jugendschutzprogramme mit
124 einer staatlichen Anerkennung auszuzeichnen.
125 Um diesen Widerspruch aufzulösen, sollte die
126 Anbieter-Privilegierung bei
127 Selbstkennzeichnungen nicht mehr von der Anerkennung eines
128 konkreten
129 Jugendschutzprogramms abhängig gemacht werden. Vielmehr
130 sollte ein technischer Standard anerkannt werden, auf dem
131 dann eine Vielzahl von Jugendschutzprogrammen aufbauen kann
132 – dies wird dem Markt überlassen. Eine Überlegung ist, dass
133 die Stiftung Warentest dann zu Beurteilungen dieser
134 Programme motiviert werden sollte. Bei Nutzung dieser
135 Standards sollte allerdings eine Pflicht für die Anbieter
136 zur Aufklärung über die mögliche Unvollkommenheit bestehen,
137 damit nicht der Eindruck von trügerischer Sicherheit
138 entsteht (siehe oben).
139
140 Vor dem Hintergrund der faktischen Limitierungen sollte
141 daneben ein praxisnahes und auf Akzeptanz zielendes
142 Jugendmedienschutzrecht die Anbieterverantwortung auf
143 besonders schwerwiegend gefährdende Inhaltskategorien
144 fokussieren, die von den Aufsichtsinstitutionen auch ernst
145 zu nehmend verfolgt werden können. Daneben muss verstärkt
146 die Förderung des Selbstschutzes von Kindern und
147 Jugendlichen treten, was insbesondere eine Methodenkompetenz
148 im Hinblick auf eher sozial handlungsbezogene
149 Gefährdungskategorien wie Grooming oder Cyberbullying
150 umfasst.

Der Text verglichen mit der Originalversion

1 (Zu diesem Abschnitt liefert die Fraktion Bündnis 90/Die
2 Grünen ein Alternativpapier. Termin: 16. März 2011)
3
4 Der bestehende Rechtsrahmen des Jugendmedienschutzes ist
5 anbieterzentriert. Grundgedanke der Regelungen sowohl des
6 JuSchG als auch des JMStV ist, dass Anbieter von Träger-
7 oder Online-Medien rechtlich verantwortlich für ihre
8 Angebote und damit auch dessen Jugendschutzkonformität sind.
9 Dieser auf den ersten Blick zwingend erscheinende
10 regulatorische Grundansatz wird im heutigen Medienumfeld aus
11 verschiedenen Gründen jedoch oftmals unter folgenden
12 Gesichtspunkten kritisiert:
13
14 • Die Anbieterzentrierung führt zu einer Fokussierung auf in
15 Deutschland ansässige Anbieter, während gegenüber aus dem
16 Ausland agierenden Betreibern deutsches Recht faktisch
17 undurchsetzbar bleibt.
18
19 • Auch innerhalb des Zugriffsbereichs der nationalen
20 Aufsichtsbehörden bestehen faktische Limitierungen, da eine
21 umfassende Kontrolle sämtlicher Webseiten aus
22 Ressourcengründen unmöglich ist. Schon jetzt konzentriert
23 sich die Aufsicht im Online-Sektor daher auf schwere
24 Verstöße, große Portalbetreiber und diejenigen Unternehmen,
25 die sich aus eigenem Antrieb der Selbstkontrolle
26 angeschlossen haben.
27
28 • Die heute als Ausformung der Anbieterverantwortung im
29 Internet bestehende
30 Verpflichtung zur altersabgestuften Zugänglichmachung von
31 Angeboten ist
32 angesichts der rechtlich unklaren Kriterien und der bei
33 Jugendlichen stark
34 differierenden Entwicklungsreife für die Anbieter kaum
35 sinnvoll umsetzbar. Selbst bei stark engagierten Anbietern
36 hat die Einstufung daher zwangsläufig willkürliche Elemente.
37
38 Die geschilderten Durchsetzungsdefizite machen den Ansatz
39 der Anbieterverantwortung nicht obsolet. Sie erfordern
40 jedoch dessen Akzentuierung und Ergänzung um anders
41 ausgerichtete Schutzinstrumente.
42
43 EXKURS aus Anlass des in Diskussion stehenden JMStVs
44
45
46 Abhilfe schaffen könnte hier – für den Bereich der
47 entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalte im Sinne des JMStV –
48 zum Beispiel die Entwicklung leistungsfähiger und
49 nutzerautonom einzusetzender anerkannter
50 Jugendschutzprogramme, wie sie der
51 Jugendmedienschutz-Staatsvertrag schon seit Jahren vorsieht
52 und deren bisher z.T. unklare Anerkennungsvoraussetzungen
53 durch die – gescheiterte – Novellierung des JMStV zum 1.
54 Januar 2011 hätten konkretisiert werden sollen. Aber auch
55 nach der nun vorerst weiter gültigen Rechtslage sind für
56 Jugendschutzprogramme einige Grundprinzipien festzustellen,
57 die durch die Novellierung nicht berührt werden sollten:
58
59 Jugendschutzprogramme im Sinne des JMStV sind keine bloßen
60 Filterprogramme, mit denen (nur) der Filterhersteller
61 aufgrund eigener Kriterien für bestimmte Altersstufen
62 darüber entscheidet, ob bestimmte Internetinhalte angezeigt
63 werden oder nicht (und damit schon eine Form von „Zensur“
64 insbesondere gegenüber den Inhalte-Anbietern ausüben kann,
65 deren Angebote er in seine Blacklist aufgenommen hat).
66 Zentrales Element eines
67 Jugendschutzprogramms ist vielmehr eine
68 Selbstklassifizierungsschnittstelle für Inhalte-Anbieter.
69 Diese Programme müssen also über eine standardisierte
70 Schnittstelle verfügen, über die die Inhalteanbieter selbst
71 dem Programm mitteilen können, wie ihre Angebote unter
72 Jugendschutzgesichtspunkten richtig zu behandeln sind, d.h.
73 welcher Altersstufe sie zuzuordnen sind (sogenanntes
74 Labeling). Soweit ein Anbieter entwicklungsbeeiträchtigender
75 Inhalte sein Angebot für ein anerkanntes
76 Jugendschutzprogramm inhaltlich und technisch
77 korrekt gelabelt hat, führt allein dies nach der geltenden
78 Rechtslage schon zu einer rechtlichen Privilegierung. Das
79 heißt, er muss keine weiteren Schutzmaßnahmen ergreifen bzw.
80 vorschalten (also z.B. andere technische Mittel,
81 Zeitgrenzen). Zudem kann er von der Aufsichtsbehörde nicht
82 mehr rechtlich belangt werden.
83
84 Die nachvollziehbare Sorge vieler Anbieter, aufgrund
85 unklarer objektiver Kriterien zu einer inhaltlich
86 unzutreffenden Alterseinstufung ihrer Angebote zu gelangen
87 und allein deshalb eine aufsichtsrechtlicheMaßnahme zu
88 riskieren, sollte dabei ernst genommen werden. Zu überlegen
89 wäre, ob z.B. allein das nachweisbare und korrekte
90 Durchlaufen eines Selbstklassifizierungs-Fragebogens einer
91 anerkannten Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle
92 schon eine inhaltliche Privilegierung zur Folge haben
93 könnte, um einer breiten Akzeptanz des Selbst-Labelings
94 Vorschub zu leisten.
95
96 Aber nur wenn Eltern Jugendschutzprogramme auch installiert
97 und aktiviert haben, läuft die Programmierung der Anbieter
98 nicht ins Leere. Damit Eltern sie im großen Umfang
99 einsetzen, dürfen sie keine unverhältnismäßig hohen Kosten
100 verursachen (sie sollten möglichst kostenfrei für den Nutzer
101 sein). Außerdem müssen sie Eltern bei der Medienerziehung
102 zuverlässig unterstützen. Die Herausforderung ist hier, eine
103 möglichst breite Akzeptanz für anerkannte
104 Jugendschutzprogramme zu schaffen. Für eine Durchsetzung am
105 Markt ist es
106 darüber hinaus essenziell, dass die Bedienung möglichst
107 einfach ist. Zudem müssen die Installation und die
108 Konfiguration auch ohne umfangreiches technisches Vorwissen
109 möglich sein. Um den grundrechtlich garantierten
110 Erziehungsauftrag nicht zu beeinträchtigen, müssen sie
111 nutzerautonom sein, sodass Eltern sie nach ihren Wünschen
112 konfigurieren können. Gleichzeitig müssen sie einen
113 zuverlässigen Schutz vor problematischen Inhalten
114 bieten.
115
116 Seit dem Inkrafttreten des JMStV im Jahr 2003 ist es bislang
117 aber nicht gelungen, dass auch nur ein einziges
118 Jugendschutzprogramm durch die KJM die Anerkennung erhalten
119 hat. Letztlich ist es aufgrund der Komplexität und der damit
120 verbundenen Unvollkommenheit von Software nicht möglich, ein
121 Jugendschutzprogramm mit 100prozentigem Schutzniveau zu
122 programmieren. Andererseits ist es staatlichen Stellen nur
123 schwer zuzumuten, unvollkommene Jugendschutzprogramme mit
124 einer staatlichen Anerkennung auszuzeichnen.
125 Um diesen Widerspruch aufzulösen, sollte die
126 Anbieter-Privilegierung bei
127 Selbstkennzeichnungen nicht mehr von der Anerkennung eines
128 konkreten
129 Jugendschutzprogramms abhängig gemacht werden. Vielmehr
130 sollte ein technischer Standard anerkannt werden, auf dem
131 dann eine Vielzahl von Jugendschutzprogrammen aufbauen kann
132 – dies wird dem Markt überlassen. Eine Überlegung ist, dass
133 die Stiftung Warentest dann zu Beurteilungen dieser
134 Programme motiviert werden sollte. Bei Nutzung dieser
135 Standards sollte allerdings eine Pflicht für die Anbieter
136 zur Aufklärung über die mögliche Unvollkommenheit bestehen,
137 damit nicht der Eindruck von trügerischer Sicherheit
138 entsteht (siehe oben).
139
140 Vor dem Hintergrund der faktischen Limitierungen sollte
141 daneben ein praxisnahes und auf Akzeptanz zielendes
142 Jugendmedienschutzrecht die Anbieterverantwortung auf
143 besonders schwerwiegend gefährdende Inhaltskategorien
144 fokussieren, die von den Aufsichtsinstitutionen auch ernst
145 zu nehmend verfolgt werden können. Daneben muss verstärkt
146 die Förderung des Selbstschutzes von Kindern und
147 Jugendlichen treten, was insbesondere eine Methodenkompetenz
148 im Hinblick auf eher sozial handlungsbezogene
149 Gefährdungskategorien wie Grooming oder Cyberbullying
150 umfasst.

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