Papier: 2.1.3 Risiken interaktiverMedien
Originalversion
1 | (Einfügen von Unterüberschriften bis 16. März 2011 durch |
2 | PG-Mitglieder.) |
3 | |
4 | Risiken im Umgang mit interaktiven Medien gibt es in |
5 | zweierlei Hinsicht: Zum einen werden Benutzerinnen und |
6 | Benutzer von externen Quellen mit Risiken, kriminellen |
7 | Handlungen oder Störfaktoren konfrontiert. Zum anderen |
8 | können aber auch fehlende eigene Kompetenzen und Fähigkeiten |
9 | Negatives für die persönliche Entwicklung oder im Umgang mit |
10 | anderen hervorrufen. Folgen können in beiden Bereichen |
11 | sozialer, persönlicher, rechtlicher, finanzieller oder |
12 | technischer Art und Weise sein. |
13 | |
14 | Wichtig ist die Feststellung, dass problematische Inhalte |
15 | oder illegale/kriminelle Handlungen in bzw. durch die |
16 | interaktiven Medien nicht durch das Medium selbst erschaffen |
17 | werden, sondern in jedem Fall Konsequenz und Folge aus |
18 | menschlichem Handeln sind. |
19 | |
20 | Exemplarisch seien an dieser Stelle für beide Bereiche |
21 | einige mögliche Formen von Risiken genannt: |
22 | |
23 | Im Bereich der Risiken interaktiver Medien sind Schlagwörter |
24 | wie Cyber-Mobbing, Grooming oder Gefahren durch die |
25 | Preisgabe von persönlichen Daten in der aktuellen Debatte |
26 | vor allem im Hinblick auf Kinder und Jugendliche in aller |
27 | Munde. Sowie bei den meisten der im Folgenden zu benennenden |
28 | Risiken ist Mobbing kein grundsätzlich neues Phänomen der |
29 | digitalen Gesellschaft, sondern findet im Internet – ähnlich |
30 | wie via Mobiltelefon – lediglich eine neue Art der |
31 | Ausbreitung. |
32 | |
33 | Vor allem in Sozialen Netzwerken oder Foren leiden |
34 | Betroffene unter Umständen unter übler Nachrede, |
35 | Diffamierung, Belästigung oder Nötigung durch |
36 | Mitschülerinnen und Mitschüler oder Bekannte – die sich |
37 | durch die Benutzung von falschen Namen oder Avataren nicht |
38 | zu erkennen geben müssen. Im Falle von Grooming handelt es |
39 | sich um die gezielte sexuelle Belästigung von Kindern und |
40 | Jugendlichen via Internet. Nach aktuellen Studien [u.a. |
41 | Bitkom-Studie; in KIM 2010; EU-Kids Online] kommt dies in |
42 | der Praxis allerdings eher selten vor und steht in keinem |
43 | Verhältnis zu der öffentlichen Wahrnehmung dieses Themas. |
44 | |
45 | Sexuelle Belästigung geht oft auch von gleichaltrigen |
46 | Jugendlichen aus. Neben der persönlichen Wachsamkeit und |
47 | einem gesunden Misstrauen Unbekannten gegenüber, kann auch |
48 | der sparsame Umgang mit persönlichen Informationen solchen |
49 | Belästigungen vorbeugen. Grundsätzlich scheint es ratsam, |
50 | sparsam mit der Preisgabe von eigenen Daten umzugehen und |
51 | vor jeder Veröffentlichung von privaten Informationen den |
52 | daraus entstehenden Nutzen und die möglichen Konsequenzen |
53 | abzuwägen. Auch wenn der Wert und die Notwendigkeit von |
54 | Privatsphäre aktuell an Bedeutung zu verlieren scheinen, |
55 | wäre trotzdem ein bewussterer Umgang damit wünschenswert. |
56 | |
57 | Ähnlich wie in anderen Medien kann es auch im Internet |
58 | vorkommen, dass Kinder und Jugendliche ungewollt mit nicht |
59 | altersgerechten Inhalten konfrontiert werden, u.a. mit |
60 | Darstellungen von Gewalt, Krieg oder Pornographie. |
61 | |
62 | Unter wirtschaftlichem Aspekt sind Abo- und Kostenfallen zu |
63 | nennen, denen nicht nur Kinder und Jugendliche zum Opfer |
64 | fallen, sondern alle Altersgruppen. Auch werden immer wieder |
65 | Fälle bekannt, in denen Kinder und Jugendliche unbewusst |
66 | Anbieter von urheberrechtlich geschützten Werken in |
67 | Tauschbörsen werden. |
68 | |
69 | Konkret beschreibbar sind die Gefahren, die durch |
70 | Computerviren und -würmer sowie Trojaner ausgelöst werden. |
71 | Allen gemeinsam ist, dass ein Angreifer versucht, in die |
72 | Computer seiner Opfer eine Software einzuschleusen. |
73 | Computerviren und -würmer versuchen, sich über die |
74 | kompromittierten Computer selbst weiter zu verbreiten. Viren |
75 | verändern dabei in der Regel fremde Dateien (Startprogramme, |
76 | Bootsektoren usw.), während Würmer normalerweise keine |
77 | fremden Dateien manipulieren. Trojanische Pferde, kurz |
78 | Trojaner, sind Computerprogramme, die sich als mehr oder |
79 | minder nützliche Anwendung tarnen, im Hintergrund und ohne |
80 | Wissen des Anwenders aber andere Funktionen erfüllen. |
81 | |
82 | Heutzutage ist der Hauptzweck von Viren, Würmern und |
83 | Trojanern vor allem der Aufbau so genannter Botnetze. Dabei |
84 | stellen oftmals tausende bis Millionen Rechner im Internet |
85 | ihre Kapazitäten (Rechenleistung, Netzwerkanbindung usw.) |
86 | dem kontrollierenden Angreifer zur Verfügung. |
87 | Sicherheitsdienstleister schätzen, dass einige Botnetze bis |
88 | zu 30 Millionen Rechner kontrollieren. |
89 | [http://de.wikipedia.org/wiki/Botnet] Sie werden meistens |
90 | zum Versenden von Spam-Mails, für Angriffe auf Server oder |
91 | zum Knacken von Passwörtern genutzt. Der Inhaber des |
92 | betroffenen Computers bemerkt die Infizierung meistens |
93 | nicht, versendet sie aber. |
94 | |
95 | So genannte Spyware ist eine Software, die zum Ziel hat, den |
96 | Nutzer auszuspionieren, seine Angewohnheiten auszuforschen |
97 | und ihm so gezielt Werbung und ähnliches zu präsentieren. |
98 | Häufiger anzutreffen ist heutzutage „Scareware“. Darunter |
99 | versteht man Software, die dem Benutzer verunsichern und |
100 | ängstigen soll, ihn beispielsweise vor einer erfundenen |
101 | Infizierung seines Computers mit einem Virus warnt und gegen |
102 | Bezahlung eine Entfernung des vermeintlichen Schädlings |
103 | anbietet. Hier wird also vor allem der Nutzer selbst |
104 | geschädigt, während bei Viren, Würmern und Trojanern vor |
105 | allem andere geschädigt werden. |
106 | |
107 | Die meisten der Infizierungen ließen sich durch eine höhere |
108 | Medienkompetenz der Nutzer verhindern oder zumindest |
109 | nachträglich aufspüren. Dazu gehört nicht nur eine sichere |
110 | Konfiguration der Computer, sondern auch ein bewusstes |
111 | Umgehen mit Gefahren und das rechtzeitige Schließen von |
112 | Sicherheitslücken. |
113 | |
114 | Eine verwandte Gefahr ist das so genannte Phishing (von |
115 | Password Fishing), also das Angeln nach Passwörtern mit |
116 | Ködern. Dabei versuchen Angreifer, von Anwendern Passwörter, |
117 | Kreditkartennummern oder PINs und TANs für das Homebanking |
118 | zu ergaunern. Dazu werden beispielsweise Webseiten von |
119 | Banken weitgehend originalgetreu nachgebildet und der Nutzer |
120 | aufgefordert, PIN und TAN einzugeben. Stattdessen nutzt der |
121 | Betrüger die erbeuteten Daten, um selbst Überweisungen zu |
122 | tätigen und das Opfer zu betrügen. In der Zwischenzeit |
123 | laufen entsprechende Angriffe oft auch mit Unterstützung von |
124 | Trojanern ab, so dass entsprechende Daten bei der Eingabe |
125 | auf infizierten Computern abgefangen werden. |
126 | |
127 | Auch hier lässt sich die Gefahr durch Medienkompetenz |
128 | weitgehend eindämmen:Medienkompetente Nutzer erkennen |
129 | Phishing-Mails, in denen sie zur Eingabe ihres Passwortes |
130 | oder von PIN/TAN vom Online-Banking aufgerufen werden. |
131 | Medienkompetente Nutzer erkennen auch, wenn eine fremde |
132 | Webseite sich als Webseite einer Bank oder als betrügerische |
133 | Abzockwebsite ausgibt. |
134 | |
135 | Auswirkungen fehlender Medienkompetenz |
136 | |
137 | |
138 | Risiken werden aber nicht nur extern an die Nutzerinnen und |
139 | Nutzer herangetragen, auch deren eigener Umgang mit dem |
140 | Internet bzw. dessen Inhalten kann problematische |
141 | Auswirkungen haben: |
142 | |
143 | Fehlende Medienkompetenz tritt in vielen Bereichen zu Tage, |
144 | u.a. in der mangelhaften und unkritischen Bewertung von |
145 | Medieninhalten. Problematisch scheint zudem vor allem bei |
146 | Kindern zu sein, dass diese oftmals nicht zwischen |
147 | eingeblendeter Werbung und redaktionellen Inhalten |
148 | unterscheiden können. Die pure Menge an abrufbaren |
149 | Informationen führt nicht automatisch dazu, dass jeder in |
150 | der Lage ist, sich ein umfassendes Meinungsbild zu machen. |
151 | Es kann vielmehr dazu führen, dass es zu einer Überforderung |
152 | aufgrund der Fülle an Informationen und Kommunikationswegen |
153 | und damit zu einer reduzierten und einseitigen |
154 | Informationsaufnahme kommen kann. |
155 | |
156 | Unkritisch ist bisweilen auch der Umgang mit den Rechten |
157 | anderer: So führen fehlendes Wissen und fehlende Kompetenz |
158 | immer wieder zu Verstößen gegen das Urheberrecht, den |
159 | Datenschutz oder die Persönlichkeitsrechte anderer. Gerade |
160 | in Bezug auf die Verletzung von Persönlichkeitsrechten geht |
161 | mangelnde Medienkompetenz immer auch einher mit mangelnder |
162 | sozialer Kompetenz. |
163 | |
164 | Ein weiterer kritischer Aspekt ist die Dauer der |
165 | Mediennutzung. Fehlende Medienkompetenz kann hierbei den |
166 | Verlust des Bezuges zur „realen“ Welt und das sich |
167 | vorwiegend in der virtuellen Umgebung Bewegen durchaus |
168 | verstärken. Neben dem möglichen Verlust von sozialen |
169 | Kontakten und Bindungen - mit all den Facetten |
170 | zwischenmenschlicher Kontakte (Mimik, Gestik, körperliche |
171 | Erfahrungen) - kann exzessive Mediennutzung auch zu |
172 | physischen sowie psychischen Einschränkungen führen. |
173 | |
174 | Fehlende Medienkompetenz kann sich aber auch ganz konkret |
175 | auf gesellschaftliche Teilhabe, Bildung und sozialen |
176 | Aufstieg auswirken. So bietet das Internet in vielfacher |
177 | Weise die Möglichkeit, gesellschaftliche Debatten zu |
178 | verfolgen und sich selbst einzubringen. Des Weiteren ist |
179 | Medienkompetenz mittlerweile eine unverzichtbare Fähigkeit, |
180 | die für den Erfolg in Schule, Ausbildung und Beruf wichtig |
181 | ist. |
182 | |
183 | Medienkompetenz kann viele dieser Risiken minimieren, |
184 | teilweise sogar vollständig vermeiden. Insofern wird es ein |
185 | zentrales Anliegen der Kommission sein, Ideen zu entwickeln, |
186 | um die Vermittlung von Medienkompetenz an alle |
187 | gesellschaftlichen |
188 | |
189 | Zielgruppen zu optimieren. Es zeigt sich aber auch, dass |
190 | angesichts der erwähnten Risiken Medienkompetenz nicht alle |
191 | Probleme lösen kann und es einer engen Verzahnung mit dem |
192 | Jugend- und dem Verbraucherschutz bedarf. |
193 | |
194 | Medienkompetenz schafft digitale Selbständigkeit. Diese ist |
195 | in einer modernen Wissens- und Informationsgesellschaft für |
196 | demokratische Teilhabe, wirtschaftliche Chancengerechtigkeit |
197 | und freie Entfaltung der Persönlichkeit von grundlegender |
198 | Notwendigkeit. Fehlt diese, wird es dem Individuum nicht |
199 | gelingen, Medien und deren Inhalte den eigenen Bedürfnissen |
200 | und Zielen entsprechend zu nutzen. |
201 | |
202 | 1.3.1 Mediensucht und Prävention |
203 | |
204 | |
205 | (Ergänzung des folgenden Abschnitts um die Ergebnisse einer |
206 | aktuellen Studie des Hans-Bredow-Institutes bis 16. März |
207 | 2011 durch PG-Mitglieder.) |
208 | |
209 | Dass interaktive Medien den Menschen so viele Chancen und so |
210 | viel Abwechslung bieten, bleibt nicht ohne Risiken – |
211 | beispielsweise dann, wenn Medien zum Suchtmittel werden. So |
212 | gelten laut einer Studie der Medizinischen Hochschule |
213 | Hannover von 2006 etwa sechs Prozent aller deutschen |
214 | Internetnutzer als onlinesüchtig und noch einmal so viele |
215 | als stark suchtgefährdet. [1] |
216 | |
217 | Auch internationale Untersuchungen zeigen, dass die |
218 | Prävalenzrate, also der Anteil jener, die einem |
219 | Suchtverhalten zuzuordnen sind, zwischen einem und maximal |
220 | fünf Prozent liegt. Je nach Studie verbringen die als |
221 | abhängig beschriebenen Personen bis zu 40 Stunden je Woche |
222 | im Internet. Nichtsüchtige kommen wöchentlich auf maximal 20 |
223 | Stunden. [2] |
224 | |
225 | Die Auslöser, Mechanismen und Symptome der Mediensucht |
226 | gleichen denen anderer nicht stoffgebundener |
227 | Suchterkrankungen: Durch den Konsum bestimmter |
228 | Medienangebote wird das körpereigene Belohnungssystem in |
229 | Gang gesetzt. Der damit einhergehende Dopaminausstoß führt |
230 | zu einem gefühlten Erfolgserlebnis, auf das manche nicht |
231 | mehr verzichten können. Zu den typischen |
232 | Abhängigkeitssymptomen zählen ein unkontrollierter, |
233 | stundenlanger Konsum, die stetige Erhöhung der „Dosis“, eine |
234 | ständige gedankliche Beschäftigung mit dem Suchtverhalten, |
235 | misslingende Reduzierungsversuche sowie Entzugserscheinungen |
236 | beispielsweise in Form von Aggressivität, wenn das |
237 | Suchtmittel nicht zur Verfügung steht. |
238 | |
239 | Die negativen Folgen der Mediensucht sind – wie bei anderen |
240 | Abhängigkeitserkrankungen auch – nicht nur psychischer |
241 | Natur, sondern erstrecken sich ebenso auf die körperliche |
242 | Gesundheit und das soziale Umfeld der Betroffenen. Es kommt |
243 | oftmals zu einer Vernachlässigung der eigenen Bedürfnisse, |
244 | der beruflichen bzw. schulischen Verpflichtungen und |
245 | sozialen Kontakte. Die Betroffenen verheimlichen oder |
246 | bagatellisieren das eigene Suchtverhalten. Mitunter geraten |
247 | sie sogar in finanzielle Verschuldung. |
248 | |
249 | In der Gesellschaft und der Wissenschaft wird |
250 | Medienabhängigkeit bislang nur unzureichend thematisiert. |
251 | Sie ist selten Gegenstand empirischer Forschung. Es fehlt |
252 | nach wie vor an belastbarem Datenmaterial. Eine für das |
253 | Bundesministerium für Gesundheit im Zeitraum von 2008 bis |
254 | 2010 angefertigte Untersuchung stellt dazu fest: Es wäre |
255 | „insbesondere eine interdisziplinäre Längsschnittstudie |
256 | wünschenswert, die mit neurobiologischen, genetischen und |
257 | entwicklungspsychiatrischen Methoden Kinder vor Beginn des |
258 | pathologischen Internetgebrauchs bis in das Erwachsenenalter |
259 | hinein untersuchen würde.“ [3] |
260 | |
261 | Weiterer Handlungsbedarf besteht in der Hinsicht, dass |
262 | Medienabhängigkeit bisher nicht als eigenständige Suchtform |
263 | anerkannt ist. Die Kommission betrachtet Medienabhängigkeit |
264 | als eine eigenständige, nicht stoffgebundene Suchtform und |
265 | hält eine Anerkennung als Erkrankung nach dem |
266 | Diagnoseschlüssel ICD der Weltgesundheitsorganisation für |
267 | geboten. Darüber hinaus sieht die Kommission die |
268 | Notwendigkeit einer umfassenden Erforschung des |
269 | Krankheitsbildes. |
270 | |
271 | In der Bundesrepublik gibt es derzeit nur ein sehr |
272 | begrenztes Angebot an Beratungs- und Therapiemöglichkeiten |
273 | für Betroffene. Die erfolgversprechendste |
274 | Präventionsmaßnahme hingegen ist, Kinder und Jugendliche in |
275 | ihrem Umgang mit Medien zu begleiten. Hier sind in erster |
276 | Linie die Familien gefragt. Wenn vor allem Eltern jedoch |
277 | keine oder nur begrenzte medienpädagogische Fähigkeiten |
278 | aufweisen, müssen sie auf geeignete Beratungsmöglichkeiten |
279 | zurückgreifen können. Zusätzlich muss gewährleistet sein, |
280 | dass in Schule, Ausbildung und Freizeit ausreichend |
281 | qualifizierte medienpädagogische Angebote zur Verfügung |
282 | stehen. |
283 | |
284 | [1] vgl.: Bert te Wildt 2006, Medizinische Hochschule |
285 | Hannover – Bitte Quellenangabe durch |
286 | das Büro MdB Tabea Rößner. |
287 | |
288 | [2] Bitte Quellenangabe durch das Büro MdB Dr. Petra Sitte. |
289 | |
290 | [3] Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf/Deutsches Zentrum |
291 | für Suchtfragen des |
292 | Kindes- und Jugendalters: Studie für das BMG zum Projekt |
293 | Beratungs- und |
294 | Behandlungsangebote zum pathologischen Internetgebrauch in |
295 | Deutschland, S. 5. |
296 | |
297 | 1.3.2 Strukturelle Defizite |
298 | |
299 | |
300 | Die Studie der Initiative D21 „Digitale Gesellschaft" aus |
301 | dem Jahr 2010 [4]zeigt deutlich, dass die digitale Spaltung |
302 | der Gesellschaft eher qualitativ als quantitativ zunimmt. |
303 | Der Anteil internetferner Menschen wird zwar kleiner, |
304 | gleichzeitig werden aber auch die Kompetenzen dieser |
305 | digitalen Außenseiter geringer. Vor allem aber zeigt die |
306 | Studie, dass die digitale Spaltung eine soziale Spaltung |
307 | ist: die Außenseiter finden sich vorwiegend in armen |
308 | Haushalten. Eine Förderung von Medienkompetenz muss deshalb |
309 | einhergehen mit der Förderung einer flächendeckenden |
310 | Internetanbindung ohne Ansehen der wirtschaftlichen |
311 | Situation der Nutzer. Dies gilt für Netze wie für netzfähige |
312 | Geräte gleichermaßen. |
313 | |
314 | Der Sachverständige Hannes Schwaderer betonte in der |
315 | Expertenanhörung der Enquete-Kommission zur Medienkompetenz |
316 | am 13. Dezember 2010, dass Bildungschancen nicht vom |
317 | sozialen Milieu oder der Familiensituation abhängig sein |
318 | dürfen. Da Intelligenz über alle soziale Schichten |
319 | gleichermaßen verteilt sei, gelte es daher besonders, die |
320 | Bedürfnisse von Kindern sozial schwächerer Herkunft zu |
321 | beleuchten. Ein Zugang zu digitalen Lernwerkzeugen müsse |
322 | über die Schule erfolgen und dürfe nicht nur der häuslichen |
323 | Ausstattung obliegen. |
324 | |
325 | Es gibt darüber hinaus auch Positionen, die die Gründe für |
326 | die digitale Spaltung weniger in den Zugangsmöglichkeiten |
327 | zum Internet bzw. der Infrastruktur sehen, dafür aber |
328 | verstärkt in der Art und Weise der Nutzung. Hier zeigen sich |
329 | Unterschiede vor allem regional, geschlechtsspezifisch, |
330 | altersbedingt, ökonomisch und bildungsgradabhängig. So sind |
331 | bildungsferne Nutzer beispielsweise eher konsumorientiert. |
332 | Sie nutzen die Chancen und Potentiale der Teilhabe und der |
333 | Information kaum. |
334 | |
335 | Weitgehende Einigkeit indes besteht darüber, das Radio und |
336 | Fernsehen kein Ersatz für einen |
337 | Internetzugang sind. Nicht nur fehlen den traditionellen |
338 | Medien die partizipativen Möglichkeiten von |
339 | Online-Angeboten. Auch im Bereich der |
340 | Informationsbereitstellung ist das Internet unverzichtbar |
341 | geworden. Dies zeigt sich nicht zuletzt auch an der |
342 | sinkenden Zahl von Wortbeiträgen im Radioprogramm oder durch |
343 | den Verweis auf zusätzliche Informationen im Internet |
344 | während der Fernsehnachrichten. |
345 | |
346 | [4] Quellenangabe/Studie (offen) |
347 | |
348 | Die Kommission wird zu klären versuchen, auf welche Weise |
349 | die bestehende digitale Spaltung am ehesten zu überwinden |
350 | ist. Folgende Punkte werden als mögliche Ansätze betrachtet: |
351 | |
352 | - bessere Geräteausstattung an Schulen, Ausbildungs- und |
353 | Jugendeinrichtungen,Universitäten, Kindergärten etc., |
354 | |
355 | - Nutzung von e-learning-Angeboten, |
356 | |
357 | - Verfügbarkeit von mehr frei zugänglicher Infrastruktur für |
358 | alle Generationen, die |
359 | auch Beratung und Betreuung beinhaltet (insbesondere im |
360 | Beruf), |
361 | |
362 | - (Aus-, Weiter-)Bildung der Erklärenden/Lehrenden, |
363 | |
364 | - Harmonisierung der Lehrpläne und des Anforderungskatalogs |
365 | zwischen den |
366 | zuständigen Ländern, Kultusbehörden und |
367 | Wissenschaftsministerien, |
368 | |
369 | - spezielle Förderung von Zielgruppen (Frauen, Senioren, |
370 | Menschen mit |
371 | Migrationshintergrund,Menschen mit körperlichen und |
372 | geistigen Beeinträchtigungen, Kinder und Jugendliche aus |
373 | bildungsfernen Familien) durch öffentliche und private |
374 | Bildungsträger, |
375 | |
376 | - Lösung für das akute Problem bis die Aus- und |
377 | Weiterbildungsmaßnahmen bei Lehrern, Erziehern und |
378 | Sozialarbeitern greifen -> peer-to-peer Konzepte umsetzen. |
Der Text verglichen mit der Originalversion
1 | (Einfügen von Unterüberschriften bis 16. März 2011 durch |
2 | PG-Mitglieder.) |
3 | |
4 | Risiken im Umgang mit interaktiven Medien gibt es in |
5 | zweierlei Hinsicht: Zum einen werden Benutzerinnen und |
6 | Benutzer von externen Quellen mit Risiken, kriminellen |
7 | Handlungen oder Störfaktoren konfrontiert. Zum anderen |
8 | können aber auch fehlende eigene Kompetenzen und Fähigkeiten |
9 | Negatives für die persönliche Entwicklung oder im Umgang mit |
10 | anderen hervorrufen. Folgen können in beiden Bereichen |
11 | sozialer, persönlicher, rechtlicher, finanzieller oder |
12 | technischer Art und Weise sein. |
13 | |
14 | Wichtig ist die Feststellung, dass problematische Inhalte |
15 | oder illegale/kriminelle Handlungen in bzw. durch die |
16 | interaktiven Medien nicht durch das Medium selbst erschaffen |
17 | werden, sondern in jedem Fall Konsequenz und Folge aus |
18 | menschlichem Handeln sind. |
19 | |
20 | Exemplarisch seien an dieser Stelle für beide Bereiche |
21 | einige mögliche Formen von Risiken genannt: |
22 | |
23 | Im Bereich der Risiken interaktiver Medien sind Schlagwörter |
24 | wie Cyber-Mobbing, Grooming oder Gefahren durch die |
25 | Preisgabe von persönlichen Daten in der aktuellen Debatte |
26 | vor allem im Hinblick auf Kinder und Jugendliche in aller |
27 | Munde. Sowie bei den meisten der im Folgenden zu benennenden |
28 | Risiken ist Mobbing kein grundsätzlich neues Phänomen der |
29 | digitalen Gesellschaft, sondern findet im Internet – ähnlich |
30 | wie via Mobiltelefon – lediglich eine neue Art der |
31 | Ausbreitung. |
32 | |
33 | Vor allem in Sozialen Netzwerken oder Foren leiden |
34 | Betroffene unter Umständen unter übler Nachrede, |
35 | Diffamierung, Belästigung oder Nötigung durch |
36 | Mitschülerinnen und Mitschüler oder Bekannte – die sich |
37 | durch die Benutzung von falschen Namen oder Avataren nicht |
38 | zu erkennen geben müssen. Im Falle von Grooming handelt es |
39 | sich um die gezielte sexuelle Belästigung von Kindern und |
40 | Jugendlichen via Internet. Nach aktuellen Studien [u.a. |
41 | Bitkom-Studie; in KIM 2010; EU-Kids Online] kommt dies in |
42 | der Praxis allerdings eher selten vor und steht in keinem |
43 | Verhältnis zu der öffentlichen Wahrnehmung dieses Themas. |
44 | |
45 | Sexuelle Belästigung geht oft auch von gleichaltrigen |
46 | Jugendlichen aus. Neben der persönlichen Wachsamkeit und |
47 | einem gesunden Misstrauen Unbekannten gegenüber, kann auch |
48 | der sparsame Umgang mit persönlichen Informationen solchen |
49 | Belästigungen vorbeugen. Grundsätzlich scheint es ratsam, |
50 | sparsam mit der Preisgabe von eigenen Daten umzugehen und |
51 | vor jeder Veröffentlichung von privaten Informationen den |
52 | daraus entstehenden Nutzen und die möglichen Konsequenzen |
53 | abzuwägen. Auch wenn der Wert und die Notwendigkeit von |
54 | Privatsphäre aktuell an Bedeutung zu verlieren scheinen, |
55 | wäre trotzdem ein bewussterer Umgang damit wünschenswert. |
56 | |
57 | Ähnlich wie in anderen Medien kann es auch im Internet |
58 | vorkommen, dass Kinder und Jugendliche ungewollt mit nicht |
59 | altersgerechten Inhalten konfrontiert werden, u.a. mit |
60 | Darstellungen von Gewalt, Krieg oder Pornographie. |
61 | |
62 | Unter wirtschaftlichem Aspekt sind Abo- und Kostenfallen zu |
63 | nennen, denen nicht nur Kinder und Jugendliche zum Opfer |
64 | fallen, sondern alle Altersgruppen. Auch werden immer wieder |
65 | Fälle bekannt, in denen Kinder und Jugendliche unbewusst |
66 | Anbieter von urheberrechtlich geschützten Werken in |
67 | Tauschbörsen werden. |
68 | |
69 | Konkret beschreibbar sind die Gefahren, die durch |
70 | Computerviren und -würmer sowie Trojaner ausgelöst werden. |
71 | Allen gemeinsam ist, dass ein Angreifer versucht, in die |
72 | Computer seiner Opfer eine Software einzuschleusen. |
73 | Computerviren und -würmer versuchen, sich über die |
74 | kompromittierten Computer selbst weiter zu verbreiten. Viren |
75 | verändern dabei in der Regel fremde Dateien (Startprogramme, |
76 | Bootsektoren usw.), während Würmer normalerweise keine |
77 | fremden Dateien manipulieren. Trojanische Pferde, kurz |
78 | Trojaner, sind Computerprogramme, die sich als mehr oder |
79 | minder nützliche Anwendung tarnen, im Hintergrund und ohne |
80 | Wissen des Anwenders aber andere Funktionen erfüllen. |
81 | |
82 | Heutzutage ist der Hauptzweck von Viren, Würmern und |
83 | Trojanern vor allem der Aufbau so genannter Botnetze. Dabei |
84 | stellen oftmals tausende bis Millionen Rechner im Internet |
85 | ihre Kapazitäten (Rechenleistung, Netzwerkanbindung usw.) |
86 | dem kontrollierenden Angreifer zur Verfügung. |
87 | Sicherheitsdienstleister schätzen, dass einige Botnetze bis |
88 | zu 30 Millionen Rechner kontrollieren. |
89 | [http://de.wikipedia.org/wiki/Botnet] Sie werden meistens |
90 | zum Versenden von Spam-Mails, für Angriffe auf Server oder |
91 | zum Knacken von Passwörtern genutzt. Der Inhaber des |
92 | betroffenen Computers bemerkt die Infizierung meistens |
93 | nicht, versendet sie aber. |
94 | |
95 | So genannte Spyware ist eine Software, die zum Ziel hat, den |
96 | Nutzer auszuspionieren, seine Angewohnheiten auszuforschen |
97 | und ihm so gezielt Werbung und ähnliches zu präsentieren. |
98 | Häufiger anzutreffen ist heutzutage „Scareware“. Darunter |
99 | versteht man Software, die dem Benutzer verunsichern und |
100 | ängstigen soll, ihn beispielsweise vor einer erfundenen |
101 | Infizierung seines Computers mit einem Virus warnt und gegen |
102 | Bezahlung eine Entfernung des vermeintlichen Schädlings |
103 | anbietet. Hier wird also vor allem der Nutzer selbst |
104 | geschädigt, während bei Viren, Würmern und Trojanern vor |
105 | allem andere geschädigt werden. |
106 | |
107 | Die meisten der Infizierungen ließen sich durch eine höhere |
108 | Medienkompetenz der Nutzer verhindern oder zumindest |
109 | nachträglich aufspüren. Dazu gehört nicht nur eine sichere |
110 | Konfiguration der Computer, sondern auch ein bewusstes |
111 | Umgehen mit Gefahren und das rechtzeitige Schließen von |
112 | Sicherheitslücken. |
113 | |
114 | Eine verwandte Gefahr ist das so genannte Phishing (von |
115 | Password Fishing), also das Angeln nach Passwörtern mit |
116 | Ködern. Dabei versuchen Angreifer, von Anwendern Passwörter, |
117 | Kreditkartennummern oder PINs und TANs für das Homebanking |
118 | zu ergaunern. Dazu werden beispielsweise Webseiten von |
119 | Banken weitgehend originalgetreu nachgebildet und der Nutzer |
120 | aufgefordert, PIN und TAN einzugeben. Stattdessen nutzt der |
121 | Betrüger die erbeuteten Daten, um selbst Überweisungen zu |
122 | tätigen und das Opfer zu betrügen. In der Zwischenzeit |
123 | laufen entsprechende Angriffe oft auch mit Unterstützung von |
124 | Trojanern ab, so dass entsprechende Daten bei der Eingabe |
125 | auf infizierten Computern abgefangen werden. |
126 | |
127 | Auch hier lässt sich die Gefahr durch Medienkompetenz |
128 | weitgehend eindämmen:Medienkompetente Nutzer erkennen |
129 | Phishing-Mails, in denen sie zur Eingabe ihres Passwortes |
130 | oder von PIN/TAN vom Online-Banking aufgerufen werden. |
131 | Medienkompetente Nutzer erkennen auch, wenn eine fremde |
132 | Webseite sich als Webseite einer Bank oder als betrügerische |
133 | Abzockwebsite ausgibt. |
134 | |
135 | Auswirkungen fehlender Medienkompetenz |
136 | |
137 | |
138 | Risiken werden aber nicht nur extern an die Nutzerinnen und |
139 | Nutzer herangetragen, auch deren eigener Umgang mit dem |
140 | Internet bzw. dessen Inhalten kann problematische |
141 | Auswirkungen haben: |
142 | |
143 | Fehlende Medienkompetenz tritt in vielen Bereichen zu Tage, |
144 | u.a. in der mangelhaften und unkritischen Bewertung von |
145 | Medieninhalten. Problematisch scheint zudem vor allem bei |
146 | Kindern zu sein, dass diese oftmals nicht zwischen |
147 | eingeblendeter Werbung und redaktionellen Inhalten |
148 | unterscheiden können. Die pure Menge an abrufbaren |
149 | Informationen führt nicht automatisch dazu, dass jeder in |
150 | der Lage ist, sich ein umfassendes Meinungsbild zu machen. |
151 | Es kann vielmehr dazu führen, dass es zu einer Überforderung |
152 | aufgrund der Fülle an Informationen und Kommunikationswegen |
153 | und damit zu einer reduzierten und einseitigen |
154 | Informationsaufnahme kommen kann. |
155 | |
156 | Unkritisch ist bisweilen auch der Umgang mit den Rechten |
157 | anderer: So führen fehlendes Wissen und fehlende Kompetenz |
158 | immer wieder zu Verstößen gegen das Urheberrecht, den |
159 | Datenschutz oder die Persönlichkeitsrechte anderer. Gerade |
160 | in Bezug auf die Verletzung von Persönlichkeitsrechten geht |
161 | mangelnde Medienkompetenz immer auch einher mit mangelnder |
162 | sozialer Kompetenz. |
163 | |
164 | Ein weiterer kritischer Aspekt ist die Dauer der |
165 | Mediennutzung. Fehlende Medienkompetenz kann hierbei den |
166 | Verlust des Bezuges zur „realen“ Welt und das sich |
167 | vorwiegend in der virtuellen Umgebung Bewegen durchaus |
168 | verstärken. Neben dem möglichen Verlust von sozialen |
169 | Kontakten und Bindungen - mit all den Facetten |
170 | zwischenmenschlicher Kontakte (Mimik, Gestik, körperliche |
171 | Erfahrungen) - kann exzessive Mediennutzung auch zu |
172 | physischen sowie psychischen Einschränkungen führen. |
173 | |
174 | Fehlende Medienkompetenz kann sich aber auch ganz konkret |
175 | auf gesellschaftliche Teilhabe, Bildung und sozialen |
176 | Aufstieg auswirken. So bietet das Internet in vielfacher |
177 | Weise die Möglichkeit, gesellschaftliche Debatten zu |
178 | verfolgen und sich selbst einzubringen. Des Weiteren ist |
179 | Medienkompetenz mittlerweile eine unverzichtbare Fähigkeit, |
180 | die für den Erfolg in Schule, Ausbildung und Beruf wichtig |
181 | ist. |
182 | |
183 | Medienkompetenz kann viele dieser Risiken minimieren, |
184 | teilweise sogar vollständig vermeiden. Insofern wird es ein |
185 | zentrales Anliegen der Kommission sein, Ideen zu entwickeln, |
186 | um die Vermittlung von Medienkompetenz an alle |
187 | gesellschaftlichen |
188 | |
189 | Zielgruppen zu optimieren. Es zeigt sich aber auch, dass |
190 | angesichts der erwähnten Risiken Medienkompetenz nicht alle |
191 | Probleme lösen kann und es einer engen Verzahnung mit dem |
192 | Jugend- und dem Verbraucherschutz bedarf. |
193 | |
194 | Medienkompetenz schafft digitale Selbständigkeit. Diese ist |
195 | in einer modernen Wissens- und Informationsgesellschaft für |
196 | demokratische Teilhabe, wirtschaftliche Chancengerechtigkeit |
197 | und freie Entfaltung der Persönlichkeit von grundlegender |
198 | Notwendigkeit. Fehlt diese, wird es dem Individuum nicht |
199 | gelingen, Medien und deren Inhalte den eigenen Bedürfnissen |
200 | und Zielen entsprechend zu nutzen. |
201 | |
202 | 1.3.1 Mediensucht und Prävention |
203 | |
204 | |
205 | (Ergänzung des folgenden Abschnitts um die Ergebnisse einer |
206 | aktuellen Studie des Hans-Bredow-Institutes bis 16. März |
207 | 2011 durch PG-Mitglieder.) |
208 | |
209 | Dass interaktive Medien den Menschen so viele Chancen und so |
210 | viel Abwechslung bieten, bleibt nicht ohne Risiken – |
211 | beispielsweise dann, wenn Medien zum Suchtmittel werden. So |
212 | gelten laut einer Studie der Medizinischen Hochschule |
213 | Hannover von 2006 etwa sechs Prozent aller deutschen |
214 | Internetnutzer als onlinesüchtig und noch einmal so viele |
215 | als stark suchtgefährdet. [1] |
216 | |
217 | Auch internationale Untersuchungen zeigen, dass die |
218 | Prävalenzrate, also der Anteil jener, die einem |
219 | Suchtverhalten zuzuordnen sind, zwischen einem und maximal |
220 | fünf Prozent liegt. Je nach Studie verbringen die als |
221 | abhängig beschriebenen Personen bis zu 40 Stunden je Woche |
222 | im Internet. Nichtsüchtige kommen wöchentlich auf maximal 20 |
223 | Stunden. [2] |
224 | |
225 | Die Auslöser, Mechanismen und Symptome der Mediensucht |
226 | gleichen denen anderer nicht stoffgebundener |
227 | Suchterkrankungen: Durch den Konsum bestimmter |
228 | Medienangebote wird das körpereigene Belohnungssystem in |
229 | Gang gesetzt. Der damit einhergehende Dopaminausstoß führt |
230 | zu einem gefühlten Erfolgserlebnis, auf das manche nicht |
231 | mehr verzichten können. Zu den typischen |
232 | Abhängigkeitssymptomen zählen ein unkontrollierter, |
233 | stundenlanger Konsum, die stetige Erhöhung der „Dosis“, eine |
234 | ständige gedankliche Beschäftigung mit dem Suchtverhalten, |
235 | misslingende Reduzierungsversuche sowie Entzugserscheinungen |
236 | beispielsweise in Form von Aggressivität, wenn das |
237 | Suchtmittel nicht zur Verfügung steht. |
238 | |
239 | Die negativen Folgen der Mediensucht sind – wie bei anderen |
240 | Abhängigkeitserkrankungen auch – nicht nur psychischer |
241 | Natur, sondern erstrecken sich ebenso auf die körperliche |
242 | Gesundheit und das soziale Umfeld der Betroffenen. Es kommt |
243 | oftmals zu einer Vernachlässigung der eigenen Bedürfnisse, |
244 | der beruflichen bzw. schulischen Verpflichtungen und |
245 | sozialen Kontakte. Die Betroffenen verheimlichen oder |
246 | bagatellisieren das eigene Suchtverhalten. Mitunter geraten |
247 | sie sogar in finanzielle Verschuldung. |
248 | |
249 | In der Gesellschaft und der Wissenschaft wird |
250 | Medienabhängigkeit bislang nur unzureichend thematisiert. |
251 | Sie ist selten Gegenstand empirischer Forschung. Es fehlt |
252 | nach wie vor an belastbarem Datenmaterial. Eine für das |
253 | Bundesministerium für Gesundheit im Zeitraum von 2008 bis |
254 | 2010 angefertigte Untersuchung stellt dazu fest: Es wäre |
255 | „insbesondere eine interdisziplinäre Längsschnittstudie |
256 | wünschenswert, die mit neurobiologischen, genetischen und |
257 | entwicklungspsychiatrischen Methoden Kinder vor Beginn des |
258 | pathologischen Internetgebrauchs bis in das Erwachsenenalter |
259 | hinein untersuchen würde.“ [3] |
260 | |
261 | Weiterer Handlungsbedarf besteht in der Hinsicht, dass |
262 | Medienabhängigkeit bisher nicht als eigenständige Suchtform |
263 | anerkannt ist. Die Kommission betrachtet Medienabhängigkeit |
264 | als eine eigenständige, nicht stoffgebundene Suchtform und |
265 | hält eine Anerkennung als Erkrankung nach dem |
266 | Diagnoseschlüssel ICD der Weltgesundheitsorganisation für |
267 | geboten. Darüber hinaus sieht die Kommission die |
268 | Notwendigkeit einer umfassenden Erforschung des |
269 | Krankheitsbildes. |
270 | |
271 | In der Bundesrepublik gibt es derzeit nur ein sehr |
272 | begrenztes Angebot an Beratungs- und Therapiemöglichkeiten |
273 | für Betroffene. Die erfolgversprechendste |
274 | Präventionsmaßnahme hingegen ist, Kinder und Jugendliche in |
275 | ihrem Umgang mit Medien zu begleiten. Hier sind in erster |
276 | Linie die Familien gefragt. Wenn vor allem Eltern jedoch |
277 | keine oder nur begrenzte medienpädagogische Fähigkeiten |
278 | aufweisen, müssen sie auf geeignete Beratungsmöglichkeiten |
279 | zurückgreifen können. Zusätzlich muss gewährleistet sein, |
280 | dass in Schule, Ausbildung und Freizeit ausreichend |
281 | qualifizierte medienpädagogische Angebote zur Verfügung |
282 | stehen. |
283 | |
284 | [1] vgl.: Bert te Wildt 2006, Medizinische Hochschule |
285 | Hannover – Bitte Quellenangabe durch |
286 | das Büro MdB Tabea Rößner. |
287 | |
288 | [2] Bitte Quellenangabe durch das Büro MdB Dr. Petra Sitte. |
289 | |
290 | [3] Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf/Deutsches Zentrum |
291 | für Suchtfragen des |
292 | Kindes- und Jugendalters: Studie für das BMG zum Projekt |
293 | Beratungs- und |
294 | Behandlungsangebote zum pathologischen Internetgebrauch in |
295 | Deutschland, S. 5. |
296 | |
297 | 1.3.2 Strukturelle Defizite |
298 | |
299 | |
300 | Die Studie der Initiative D21 „Digitale Gesellschaft" aus |
301 | dem Jahr 2010 [4]zeigt deutlich, dass die digitale Spaltung |
302 | der Gesellschaft eher qualitativ als quantitativ zunimmt. |
303 | Der Anteil internetferner Menschen wird zwar kleiner, |
304 | gleichzeitig werden aber auch die Kompetenzen dieser |
305 | digitalen Außenseiter geringer. Vor allem aber zeigt die |
306 | Studie, dass die digitale Spaltung eine soziale Spaltung |
307 | ist: die Außenseiter finden sich vorwiegend in armen |
308 | Haushalten. Eine Förderung von Medienkompetenz muss deshalb |
309 | einhergehen mit der Förderung einer flächendeckenden |
310 | Internetanbindung ohne Ansehen der wirtschaftlichen |
311 | Situation der Nutzer. Dies gilt für Netze wie für netzfähige |
312 | Geräte gleichermaßen. |
313 | |
314 | Der Sachverständige Hannes Schwaderer betonte in der |
315 | Expertenanhörung der Enquete-Kommission zur Medienkompetenz |
316 | am 13. Dezember 2010, dass Bildungschancen nicht vom |
317 | sozialen Milieu oder der Familiensituation abhängig sein |
318 | dürfen. Da Intelligenz über alle soziale Schichten |
319 | gleichermaßen verteilt sei, gelte es daher besonders, die |
320 | Bedürfnisse von Kindern sozial schwächerer Herkunft zu |
321 | beleuchten. Ein Zugang zu digitalen Lernwerkzeugen müsse |
322 | über die Schule erfolgen und dürfe nicht nur der häuslichen |
323 | Ausstattung obliegen. |
324 | |
325 | Es gibt darüber hinaus auch Positionen, die die Gründe für |
326 | die digitale Spaltung weniger in den Zugangsmöglichkeiten |
327 | zum Internet bzw. der Infrastruktur sehen, dafür aber |
328 | verstärkt in der Art und Weise der Nutzung. Hier zeigen sich |
329 | Unterschiede vor allem regional, geschlechtsspezifisch, |
330 | altersbedingt, ökonomisch und bildungsgradabhängig. So sind |
331 | bildungsferne Nutzer beispielsweise eher konsumorientiert. |
332 | Sie nutzen die Chancen und Potentiale der Teilhabe und der |
333 | Information kaum. |
334 | |
335 | Weitgehende Einigkeit indes besteht darüber, das Radio und |
336 | Fernsehen kein Ersatz für einen |
337 | Internetzugang sind. Nicht nur fehlen den traditionellen |
338 | Medien die partizipativen Möglichkeiten von |
339 | Online-Angeboten. Auch im Bereich der |
340 | Informationsbereitstellung ist das Internet unverzichtbar |
341 | geworden. Dies zeigt sich nicht zuletzt auch an der |
342 | sinkenden Zahl von Wortbeiträgen im Radioprogramm oder durch |
343 | den Verweis auf zusätzliche Informationen im Internet |
344 | während der Fernsehnachrichten. |
345 | |
346 | [4] Quellenangabe/Studie (offen) |
347 | |
348 | Die Kommission wird zu klären versuchen, auf welche Weise |
349 | die bestehende digitale Spaltung am ehesten zu überwinden |
350 | ist. Folgende Punkte werden als mögliche Ansätze betrachtet: |
351 | |
352 | - bessere Geräteausstattung an Schulen, Ausbildungs- und |
353 | Jugendeinrichtungen,Universitäten, Kindergärten etc., |
354 | |
355 | - Nutzung von e-learning-Angeboten, |
356 | |
357 | - Verfügbarkeit von mehr frei zugänglicher Infrastruktur für |
358 | alle Generationen, die |
359 | auch Beratung und Betreuung beinhaltet (insbesondere im |
360 | Beruf), |
361 | |
362 | - (Aus-, Weiter-)Bildung der Erklärenden/Lehrenden, |
363 | |
364 | - Harmonisierung der Lehrpläne und des Anforderungskatalogs |
365 | zwischen den |
366 | zuständigen Ländern, Kultusbehörden und |
367 | Wissenschaftsministerien, |
368 | |
369 | - spezielle Förderung von Zielgruppen (Frauen, Senioren, |
370 | Menschen mit |
371 | Migrationshintergrund,Menschen mit körperlichen und |
372 | geistigen Beeinträchtigungen, Kinder und Jugendliche aus |
373 | bildungsfernen Familien) durch öffentliche und private |
374 | Bildungsträger, |
375 | |
376 | - Lösung für das akute Problem bis die Aus- und |
377 | Weiterbildungsmaßnahmen bei Lehrern, Erziehern und |
378 | Sozialarbeitern greifen -> peer-to-peer Konzepte umsetzen. |
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